Immer öfter lese ich in verschiedenen Facebookgruppen und Foren den Tipp, Angelwirbel zu verwenden, um verdrillte Fäden wieder aufzulösen. Die Dinger werden eigentlich – wie der Name es schon sagt – von Anglern beim Angeln genutzt, damit sich die Schnur nicht verheddert, wenn der Fisch am Haken hängt. Und dafür sind diese Dinger richtig gut! NUR DAFÜR!
Warum kann ich also Angelwirbel fürs Brettchenweben nicht leiden? Dazu gibt es viele Gründe.
Doch natürlich bin ich fair und versuche erst einmal das Gute in den Dingen zu sehen. Angelwirbel sind auf den ersten Blick tatsächlich eine clevere Lösung, das Verdrillen von Fäden in der Kette zu verhindern. Muster wie z.B. der laufende Hund können hiermit ohne Musterumkehr fortlaufend gewebt werden. Bei arg verdrillendem Doubleface, bei dem man nicht so einfach aus dem Muster kann, kann man hiermit die Verdrillung aus der Kette nehmen. Nur die Doubleface-Sache macht für mich einen Einsatz von Wirbeln halbwegs plausibel. Doch ihr Einsatz bedeutet im Allgemeinen Mehrarbeit, Kettspannungsprobleme und – im schlimmsten Fall – einen zerschrammten Rahmen.
Es gehört einfach dazu!
Fangen wir mit dem konservativsten und flachsten Grund an: Wendestellen gehören zum Brettchenweben einfach dazu. Das ist eine der Charakteristiken dieser Weberei. Bei einfachen Schnurbindungsmustern mit regelmäßigem Drehrhythmus ist das ganz selbstverständlich, dass gewendet wird und niemand käme auf die Idee, da Angelwirbel zu nutzen. Es gehört aber auch zu den komplexeren verzwirnenden Mustern, wie etwa dem laufenden Hund, dem Birkamuster oder vielen Diagonalmustern. Betrachtet man das Band auf die gesamte Länge, fallen diese Wendestellen kaum auf.
Wer nicht wendet, bleibt dumm!
Ja, ich verwende jetzt mal einen provokativen Satz. Denn: Muster wenden lernen, heißt, das Weben verstehen. Ein Muster umzukehren, verlangt ein wenig Hirnschmalz. Aber wirklich nur ein wenig und ich bin mir sicher, das funktioniert bei jedem! Die Arbeitsschritte sind in der umgekehrten Reihenfolge und in der umgekehrten Drehrichtung zu vollziehen. Das kann man sich notieren und danach weben. Wenn man ein längeres Band webt und ein Muster umkehren muss, fällt bald auf: Man kann praktisch an jeder Stelle wenden. Mal ist es leichter, mal etwas komplizierter. Dabei sehen die einen Wendepunkte immer etwas anders aus. Bei mir sprießen dann schon die Ideen, was denn wäre, wenn die Wendestelle Bestandteil des Hauptmusters wäre. Besonders die Wendestellen im laufenden Hund bringen viele Mustervarianten hervor. Wer aber Angelwirbel benutzt, wird diese Vielfalt gar nicht sehen und womöglich nie auf interessante Musterideen kommen oder das Verhalten der Fäden bei komplexen Techniken nicht nachvollziehen. Das wäre doch schade, oder?
Warum meterweise in eine Richtung Gedrehtes?
Mir erschließt sich nicht, warum jemand über fünf Meter in eine Richtung gedrehten laufenden Hund braucht. Hach, ich höre schon das „Ja, aber…“ – „Der Mantel hat untenrum acht Meter“ – „Ich will den Gürtel gleichmäßig“ – „Wendestellen sind mir zu kompliziert“ (echtjetzt?) etc. Baut die Wendestelle als Kick in eure Weberei ein. Bei Kleidung, die mit Borte verziert wird, kann man entweder die Wendestellen rausschneiden, wenn sie so sehr stören oder diese genau an Punkten ansetzen, an denen Symmetrie gewollt ist.
Zeitaufwand beim Einziehen
Also ehrlich… ein Endloseinzug, selbst in superbunt, geht mit etwas Routine schnell und gleichmäßig. Aber nur, um ein paar Wendestellen zu vermeiden, nehmen es Leute in Kauf, viele Stunden ihre Fäden einzutüddeln oder gar die schöne Kette wieder aufzuschneiden. Da das Beziehen der Brettchen nicht meine Lieblingsarbeit ist, verstehe ich das nicht. Zudem entfällt dann doch eines der besten Dinge, die ein Rahmen bietet, nämlich schnellen Einzug bei gleichmäßiger Spannung.
Spannungsprobleme
Wird jedes Brettchen einzeln bezogen, können sich von vorneherein Spannungsprobleme ergeben, die sich im Gegensatz zum Endloseinzug auch nicht mit ein wenig hin- und herziehen der noch unverwebten Kette ausgleichen lassen. Und selbst wenn sehr penibel gearbeitet wurde, entstehen bei langen Bändern ungleichmäßige Spannungen. Grund dafür ist: Bei verzwirnenden Mustern verdreht sich ein Teil der Kette mehr als andere Teile. Dies wird durch die Wirbel in der unverwebten Kette ausgeglichen. ABER: Diese Verdrehung findet auch in dem Teil statt, der gewebt wird, denn beim Brettchenweben handelt es sich dabei nur um viele nebeneinanderliegende Schnüre, die mit einem Schussfaden zusammengehalten werden. Dort hat sich also die Schnur beim jeweiligen Brettchen dauerhaft eingedreht. Kein Problem, wenn man rückwärts webt, denn so gleicht sich alles innerhalb des Gewebes aus. Mit Wirbeln muss die Kette das ausbaden und die durchhängenden Fäden müssen durch Gefrierclips oder Gewichte (die dann noch das Material mehr beanspruchen) auf gleiche Spannung gebracht werden.
Macken im Webrahmen
Viele Rahmen und vor allem die Stecken, über welche die Kette geführt wird, sind aus Holz und Angelwirbel aus Metall. Ganz egal, ob Buche, Birke, Kiefer, Tanne etc.. Metall ist härter als Holz und kann Macken hinterlassen. Um eine Endloskette unfallfrei mit Anglerwirbeln weiterzuziehen, muss daher die Spannung stark gelockert werden und die Wirbel am besten um die Stecken herumgehoben werden. Wirbel mit direktem Kontakt zum Stecken hinterlassen unter Spannung auf Dauer Eindruck am Rahmen. Und den Dingern selbst tut es auch nicht gut. Ein vermackter Rahmen hat Charakter, kann man sagen, doch wenn an manchen Stellen das Holz abgeschubbert ist, ist das auch nicht gut fürs Garn. Klar, gehen viele sehr sorgsam mit den Sachen um, aber einmal unbedacht weitergezogen… ouch!
So, das musste mal raus, weil es mir ein Bedürfnis war. Selbstverständlich kann jeder für sich entscheiden, ob Angelwirbel für ihn persönlich Sinn machen. Vielleicht habe ich noch andere positive Eigenschaften von Angelwirbeln in der Brettchenweberei nicht auf dem Schirm. Falls ihr mir da noch was nennen könnt, schreibt mir gerne eine Mail!